2021 wurde das «Netzwerk Digitale Selbstbestimmung» lanciert. Sie sind als Präsident der Swiss Data Alliance Mitbegründer des Netzwerks. Welches sind die Ziele des Netzwerks? Welchen Mehrwert bietet es?

Das Netzwerk dient der Umsetzung der Digitalen Selbstbestimmung in der Schweiz. Unsere Gesellschaft soll das Potenzial der Datenwirtschaft auf Basis unserer demokratischen Werte optimal nutzen. Alle Akteure sollen zusammenarbeiten und zu gemeinsamen, sicheren und vertrauenswürdigen digitalen Plattformen und Datenräumen beitragen, um den entstehenden Mehrwert zum Nutzen aller einzusetzen.

Das Netzwerk besteht aus engagierten Akteuren aller Interessengruppen in der Schweiz. Es steht allen Individuen, Unternehmen und Organisationen offen, die die Idee der digitalen Selbstbestimmung teilen und unterstützen möchten.

«  Unsere Gesellschaft soll das Potenzial der Datenwirtschaft auf Basis unserer demokratischen Werte optimal nutzen.  »

Zwei Aktivitäten des Netzwerks in den letzten zwei Jahren sind besonders erwähnenswert. Die Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) und die Swiss Data Alliance (SDA) haben letztes Jahr drei sektorspezifische Roundtables zur Nutzung personenbezogener Daten durchgeführt, an welchen je rund 30 Entscheidungsträgerinnen, Entscheidungsträger und Opinion Leader aus den betreffenden Sektoren (Mobilität, Gesundheit und Bildung) teilgenommen haben. Die Ergebnisse dieser Roundtables sowie übergeordnete Betrachtungen zur Entwicklung vertrauenswürdiger Datenräume in der Schweiz werden demnächst von der SATW zusammen mit der SDA publiziert.

Die zweite Aktivität, bei welcher das Netzwerk eine wichtige Rolle spielt, ist die Erarbeitung eines Verhaltenskodex für vertrauenswürdige Datenräume. Der Bundesrat hat Ende März 2022 den Bericht «Schaffung von vertrauenswürdigen Datenräumen basierend auf der digitalen Selbstbestimmung» zur Kenntnis genommen und auf dieser Basis das EDA und das UVEK mit der Erarbeitung eines freiwilligen Verhaltenskodex für den Betrieb von vertrauenswürdigen Datenräumen sowie der Entwicklung von Ansätzen zur Stärkung der Interoperabilität zwischen Datenräumen beauftragt. Das Netzwerk wurde in die Erarbeitung des Verhaltenskodex einbezogen und konnte auf Struktur und Inhalte Einfluss nehmen. Der Verhaltenskodex wird voraussichtlich gegen Mitte 2023 publiziert.

Was verstehen Sie selbst unter dem Begriff «digitale Selbstbestimmung»? Welche Bedeutung hat «digitale Selbstbestimmung» für die Bildung?

Unter digitaler Selbstbestimmung verstehe ich einerseits die Ermächtigung und Befähigung eines Individuums, über Generierung, Sammlung und Nutzung der Daten, die sich auf seine Person beziehen, selbständig entscheiden zu können. Dies umfasst nicht bloss die reaktive Kontrolle über Entstehung, Inhalt und Verwendung der Daten, sondern insbesondere auch die Möglichkeit, auf diese Daten zugreifen und sie nach eigenem Gutdünken nutzen zu können.

Die rein rechtlichen Bestimmungen der so verstandenen individuellen digitalen Selbstbestimmung sind in der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie auch in der neuen, zur DSGVO äquivalenten, Datenschutzgesetzgebung der Schweiz weitgehend enthalten. Die Umsetzung der individuellen Datensouveränität erfordert aber Infrastrukturen («My Data-Plattformen»), Organisationen («Datentreuhänder») und Ausbildungsmassnahmen («Data Literacy»), welche das Individuum in der aktiven Ausübung seiner Datenrechte unterstützen. Hier stehen wir erst ganz zu Beginn der Realisierung der individuellen digitalen Selbstbestimmung.

Andererseits sind Daten in der Regel relational, das heisst sie beziehen sich auf mehrere Personen und verschiedene Sachverhalte. Zudem entfalten Daten nicht als einzelne Datensätze, sondern häufig erst als umfangreiche Datensammlungen («Big Data») oder in der Verknüpfung einzelner Datensätze zu Datennetzen («Knowledge Graph») grosse Wirkung. Daher ist der Begriff «digitale Selbstbestimmung» nicht nur auf individueller, sondern auch auf kollektiver Ebene relevant.

Kollektive digitale Selbstbestimmung bedeutet, dass eine Gruppe von Individuen, Unternehmen, Verwaltungen und weiteren Organisationen bestimmte Daten als Gemeingut definieren und deren Sammlung, Pflege und Nutzung gemeinschaftlich regeln. Selbständige Datenkooperationen bestehen bereits in staatlichen, privatwirtschaftlichen, wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Kontexten. Open Data-Initiativen wie Wiki-Data oder die offenen Daten des Human Genome sind bekannte und erfolgreiche Beispiele für solche Datenkooperationen.

«  Die Ermächtigung und Befähigung, persönliche Daten selbständig kontrollieren und nutzen zu können, ist fundamental.  »

In der Bildung ist sowohl die individuelle als auch die kollektive digitale Selbstbestimmung äusserst wichtig. Einerseits erzeugt jedes Individuum in der Schulzeit und auf seinem weiteren Ausbildungsweg eine grosse Menge an persönlichen Daten, deren Nutzung einen grossen Einfluss auf seinen schulischen und beruflichen Werdegang haben. Die Ermächtigung und Befähigung, diese Daten selbständig kontrollieren und nutzen zu können, ist daher fundamental. Auf kollektiver Ebene stellen andererseits die gesammelten Daten aus dem Bildungsbetrieb eine äusserst wichtige Grundlage dar, um die Entwicklung einzelner Bildungsangebote und Bildungsinstitutionen sowie des gesamten Bildungssystems besser zu verstehen und faktenbasierte Verbesserungsmassnahmen zu planen und umzusetzen. Die betroffenen und beteiligten Bürgerinnen und Bürger müssen daher auf allen Ebenen des Bildungswesens die Möglichkeit und Fähigkeit haben, auf diese Daten als Gemeingut zugreifen und sie im gemeinsamen Interesse nutzen zu können.

Über die Swiss Data Alliance und das «Netzwerk Digitale Selbstbestimmung»

Die Swiss Data Alliance (SDA) beschäftigt sich seit ihrer Gründung im Frühjahr 2017 mit dem Thema Datenraum und hat im Mai 2019 zusammen mit der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) einen ersten Workshop zum Aufbau eines Schweizer Datenraumes («Swiss Data Space») durchgeführt. An diesem Workshop haben über 60 Personen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung teilgenommen, darunter auch Vertreterinnen des Bundesamtes für Kommunikation (BAKOM) und der Direktion Völkerrecht (DV). In der Folge hat sich eine Zusammenarbeit zwischen SATW, SDA, BAKOM und DV entwickelt, aus welcher das Netzwerk Digitale Selbstbestimmung entstanden ist.

Portrait André Golliez
André Golliez
Präsident
Swiss Data Alliance