In seiner Erfahrung als soziokultureller Kinder- und Jugendarbeiter und als Experte für Medienkompetenz hat Daniel Betschart festgestellt, dass die technischen und organisatorischen Aspekte der digitalen Identität für junge Menschen nicht unbedingt im Vordergrund stehen. «Zum Begriff «digitale Identität» drängen sich bei mir in erster Linie nicht Fragen zum Umgang mit personenbezogenen Daten auf, sondern viel mehr zur Identitätsbildung von Jugendlichen und welche Rolle digitale Medien dabei spielen», erklärt der Referent unserer Fachtagung.

Educa25: Ich klicke, also bin ich?

Unsere digitale Identität begleitet uns überall – beim Lernen, beim Zugang zu digitalen Diensten oder in sozialen Netzwerken. Doch was bedeutet das konkret für die Bildung? Welche Chancen und Herausforderungen bringt die digitale Identität mit sich? Diese und weitere Fragen diskutieren wir an der Fachtagung Educa25 am 3. September 2025 in Bern. Seien Sie dabei und diskutieren Sie mit!

Tatsächlich besteht die Identitätsbildung laut Daniel Betschart in einem mehr oder weniger bewussten Prozess der Entdeckung der eigenen Persönlichkeit, der eigenen Vorlieben und des eigenen Lebensstils, der die Jugendzeit grundlegend prägt. Um dieses Ziel zu erreichen, greifen junge Menschen auf alle ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen zurück. «Digitale Medien sind Hilfsmittel, die – mal mehr, mal weniger – eine ideale oder wichtige Plattform für Identitätsentwicklung bieten.», ergänzt er. Dieser Prozess verläuft jedoch keineswegs linear.

Die Komplexität des digitalen Raums

«Sich in seiner Identität zu entwickeln ist 2025 ehrlich gesagt gar nicht so einfach. Nicht nur wachsen Jugendliche in einer immer komplexeren und sich schneller wandelnden Welt auf. Im Vergleich zu früheren Generationen müssen sie sich auch mit mehr Optionen auseinandersetzen. Mehr Optionen in Bezug auf Ausbildung, Beruf, Freizeit, Konsum und eben auch persönliche Entwicklung.», erklärt Daniel Betschart. Die Nutzung digitaler Medien ermöglicht den Zugang zu immer mehr Online-Räumen und -Communities, die verschiedene Lebensstile und Werte bieten, denen man nacheifern und die man übernehmen kann.
 

«  Dass Jugendliche auf unterschiedliche Darstellungen treffen, die sie in ihrer Entwicklung beeinflussen ist das eine, das andere ist die eigene Selbstdarstellung und das Sich-Selber-Ausprobieren.  »

Während digitale Medien also einerseits das Potenzial haben, Impulse und Inspiration zu liefern, kann dies andererseits auch risikobehaftet sein, insbesondere wenn junge Menschen noch dabei sind, ihre Medienkompetenz zu entwickeln. Wie Betschart betont, «kann die grosse Vielfalt auch überfordern und Unsicherheiten auslösen. Sie birgt auch Gefahren, da man – unter anderem bestimmt durch Algorithmen und individualisierten Content-Vorschlägen in sozialen Medien – schnell in einer Blase (neudeutsch: Bubble) landet. In dieser verliert man einerseits rasch den Überblick über die Vielfalt der Meinungen und gelangt andererseits ebenso schnell zu immer extremeren Inhalten.»

Experimentieren durch das «digitale Ich»

Daniel Betschart betont jedoch, dass die grosse Verfügbarkeit von Vorbildern nur ein Aspekt des grossen Potenzials der digitalen Medien im Bereich der digitalen Identität ist: «Dass Jugendliche auf unterschiedliche Darstellungen treffen, die sie in ihrer Entwicklung beeinflussen ist das eine, das andere ist die eigene Selbstdarstellung und das Sich-Selber-Ausprobieren.» Neue Technologien wie Videospiele und soziale Medien ermöglichen es jungen Menschen, ihr «digitales Ich» aktiv und hautnah zu erleben: In Videospielen können sie verschiedene Rollen und Charaktere annehmen, wie es im realen Leben niemals möglich wäre. In sozialen Medien erhalten sie durch die Erstellung eigener Inhalte sofort Feedback darüber, was ihnen gefällt und was nicht. «Das ist nicht nur faszinierend», so Betschart abschliessend, «sondern holt Jugendliche genau dort ab wo sie sich am Entwickeln sind: im Ausprobieren, Herantasten und Entdecken des eigenen Potenzials und des eigenen «Selbst».»
 

Über den Referenten

Daniel Betschart

Daniel Betschart

Experte Medienkompetenz, Pro Juventute

Daniel Betschart studierte soziokulturelle Animation an der Hochschule Luzern und beschäftigte sich in seiner Abschlussarbeit erstmals eingehend mit der Nutzung digitaler Medien durch Kinder und Jugendliche. Nach einigen Jahren in der Offenen Jugendarbeit Zürich ist er heute als Programmverantwortlicher Medienkompetenz bei der schweizerischen Stiftung Pro Juventute tätig.