
Grundsätzlich kann das volle Potenzial von Daten nur ausgeschöpft werden, wenn Individuen nicht befürchten müssen, dass die Nutzung ihrer Daten zu Manipulation, Missbrauch und Verlust der Privatsphäre führt oder ihre Daten intransparent bearbeitet werden. Daher müssen Individuen ihre Daten selbstbestimmt kontrollieren können. Für das Bildungssystem bedeutet dies einerseits, dass die digitale Selbstbestimmung, wo immer möglich, gewahrt bleiben muss.
Andererseits ist der Schutz des Individuums und dessen Daten essentiel. Wo die digitale Selbstbestimmung nicht absolut ist (z.B. aufgrund des Bildungsauftrags), hat das Bildungssystem die Verantwortung das Individuum und dessen Daten zu schützen. Dazu gehört nebst dem Datenschutz auch die Möglichkeit, Individuen im digitalen Raum mittels digitaler Identitäten einwandfrei identifizieren zu können und sie vor Manipulation zu bewahren.
Damit das Bildungssystem diesen Anforderungen auch unter sich verändernden Rahmenbedingungen gerecht werden kann, sind Massnahmen zu Datennutzung und Datenschutz bei den Themen digitale Selbstbestimmung, digitale Nachweise und digitale Identitäten wie auch der Aufbau von Datenkompetenzen zielführend.
Digitale Selbstbestimmung stärken
Ein wirksamer Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Manipulation im digitalen Raum würde dazu beitragen, deren digitale Selbstbestimmung zu wahren. So könnten zum Beispiel Social-Media-Plattformen verpflichtet werden, ihren Nutzerinnen und Nutzern Einstellungen anzubieten, welche sie besser vor manipulativen Inhalten oder Diensten schützen. Orientierung für mögliche Massnahmen bietet beispielsweise der «Digital Service Act» der Europäischen Union. Als Anknüpfungspunkt einer solchen Regulierung können dabei Bestrebungen zur Regulierung grosser Kommunikationsplattformen in der Schweiz dienen. Die aktuell laufenden Diskussionen zu dieser Thematik verdeutlichen jedoch, dass dies ein ambitioniertes Vorhaben ist.
Die digitale Selbstbestimmung kann auch durch die Schaffung von Datenräumen gestärkt werden. Diese würden es Individuen ermöglichen, ihre persönlichen Daten für verschiedene Zwecke (z.B. Weiterbildung oder Übertritt in eine andere Bildungsinstitution) selbstbestimmt, interoperabel und mehrfach zu nutzen beziehungsweise für die Nutzung freizugeben (z.B. für die Forschung). Erste Überlegungen für die Ausgestaltung eines «Bildungsdatenraumes», die auf der digitalen Selbstbestimmung basiert, liefert der vom Bundesrat gutgeheissene «Verhaltenskodex für vertrauenswürdige Datenräume».
Etablieren von digitalen Nachweisen
Ein Baustein eines solchen Bildungsdatenraumes sind digitale Nachweise. Sie ermöglichen es Individuen, Informationen zu ihrer Person (z.B. ein Maturitätszeugnis oder ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis) sicher und kontrolliert zwischen verschiedenen Institutionen und Sektoren auszutauschen. Die empfangende Institution kann die Echtheit des digitalen Nachweises zudem über eine Vertrauensinfrastruktur auf Richtigkeit überprüfen. Eine solche Vertrauensinfrastruktur ist für die Einführung einer e-ID in der Schweiz geplant.
Um kantonal und schweizerisch anerkannte Abschlüsse in Form von digitalen Nachweisen ausstellen zu können, sind folgende Schritte erfolgsversprechend:
- Eine Bedarfserhebung im Bildungssystem: Diese zeigt auf, welche Rollen, Abschlüsse und weitere für das System notwendige Informationen in Form digitaler Nachweise ausgestellt und überprüft werden können. Dabei ist mit Blick auf die Anschlussfähigkeit solcher digitaler Nachweise auch ein Einbezug des Lehrstellenmarktes, der Tertiärstufe und des Arbeitsmarktes in die Bedarfserhebung sinnvoll.
- Ein Rechtsgutachten: Dieses könnte klären, ob eine digitale Infrastruktur wie zum Beispiel die e-ID-Infrastruktur von Kantonen und dem Bund genutzt werden darf, um kantonal oder schweizerisch anerkannte Abschlüsse in Form von digitalen Nachweisen auszustellen. Das Rechtsgutachten würde aufzeigen, welche rechtlichen Anpassungen notwendig wären.
- Ein technischer Prototyp (vgl. auch Info-Box): Damit könnten Erfahrungen gesammelt werden, welche Merkmale ein digitaler Nachweis abbilden soll, in welcher standardisierten Form dies geschehen soll und wie mit Verlust oder Diebstahl von digitalen Nachweisen umgegangen werden kann. Zudem muss aus dem Prototypen ersichtlich werden, welche technischen Anforderungen an die Überprüfungsstellen der digitalen Nachweise zu stellen sind.
Mit Abschluss dieser drei Schritte dürften im Bildungssystem genügend Erfahrungspunkte vorhanden sein, um digitale Nachweise auf breiter Basis einzuführen. Kooperationen zwischen Kantonen sowie zwischen Bund und Kantonen bei diesen Arbeiten zur Einführung von digitalen Nachweisen wären mit grossen Skaleneffekten verbunden.
Wir führen in einem von der Digitalen Verwaltung Schweiz (DVS) finanzierten Projekt und in Zusammenarbeit mit der EPFL, Switch und den Kantonen Neuenburg und Freiburg im Jahr 2025 einen «Proof of Concept» durch. Dabei wird ein digital verifizierbares Maturitätszeugnis auf Basis der Public-Beta-Version der e-ID-Infrastruktur erstellt.
Digitale Identitäten
Damit Individuen im digitalen Raum bzw. in einem allfälligen Bildungsdatenraum eindeutig identifiziert werden können, braucht es digitale Identitäten. Alle Schülerinnen und Schüler sollten mit Beginn der regelmässigen Nutzung von digitalen Diensten im Unterricht (z.B. Lehrmittel, Lernapplikationen und Plattformen) eine digitale Identität ausgestellt bekommen. Auch den Mitarbeitenden von Bildungsinstitutionen sollte eine digitale Identität ausgestellt werden.
In einem Bildungssystem, das eine Vielzahl von Applikationen nutzt und das Nahtstellen, Kantonsgrenzen sowie Schul- und Stellenwechsel kennt, wäre es zudem sinnvoll, digitale Identitäten über eine Föderation der Identitätsdienste anschlussfähig zu machen (z.B. mittels Edulog). Dadurch würde einerseits sichergestellt, dass die digitale Identität bei möglichst vielen Dienstanbietern als Login akzeptiert wäre. Andererseits könnte eine föderierte digitale Identität bei Stufenwechseln, Kantonsübertritten oder Umzügen einfach transferiert werden, ohne dass sich für die Nutzenden an der Oberfläche etwas ändern würde.
«Ich klicke, also bin ich?»: Unsere diesjährige Fachtagung am 3. September in Bern widmen wir ganz der digitalen Identität. Welche Chancen eröffnet sie? Welche Herausforderungen gilt es zu meistern? Und was bedeutet das konkret für die Bildung? Ein Blick ins Programm lohnt sich.
Individuum im Zentrum des Datenaustausches
Um die Datennutzung in der Bildung zu verbessern, sollte bei der Nutzung von Personendaten stets das Individuum im Zentrum des Datenaustausches stehen. Die Stärkung der digitalen Selbstbestimmung, die Implementierung digitaler Nachweise und die Förderung föderierter digitaler Identitäten leisten hierzu einen Beitrag. Gleichzeitig bilden sie Grundbausteine für die Schaffung eines künftigen Bildungsdatenraumes.
Weiterführende Links
- Thouvenin, F. und Volz, S. (2024): Manipulation.
- Husi-Stämpfi ,S. (2021): Kinder in der digitalen Welt – neue Herausforderungen für den Persönlichkeitsschutz – Teil 2.