
Die Digitalisierung eröffnet auch im Bildungsbereich ein grosses Potenzial für die Entwicklung innovativer datenbasierter Dienste (z.B. Applikationen oder digitale Dienstleistungen). Allerdings bringen die Entwicklung und der Einsatz solcher neuen Lösungen auch eine Reihe von Herausforderungen mit sich:
- Nutzen und Risiken datenbasierter Dienste lassen sich nur schwer im Voraus abschätzen. Dies sorgt für Unsicherheiten bezüglich Rechtskonformität bei Dienstanbietern und Bildungsverwaltungen.
- Geltende gesetzliche Vorgaben, vor allem im Bereich des Datenschutzes, führen zu langwierigen Datenbeschaffungsprozessen oder verhindern das Testen eines Dienstes vor dessen Einsatz.
- Der Austausch zwischen Bildungsverwaltungen und marktorientierten Dienstanbietern gestaltet sich aufgrund unterschiedlicher Wissensstände bezüglich der technologischen und regulatorischen Möglichkeiten sowie unterschiedlichen Zielsetzungen schwierig.
- Seitens der Bildungsbehörden besteht weiterhin eine gewisse Zurückhaltung gegenüber systematischen Datenanalysen und datenbasierten Diensten.
- Die Bildungspolitik muss den Einsatz von Diensten oft regulieren, bevor gänzlich klar ist, wie die Möglichkeiten und Auswirkungen der Dienste und der dahinterstehenden Technologie in der Realität aussehen. Das stellt traditionelle – eher starre – Regulierungsansätze vor Herausforderungen.
Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen stellt sich die Frage: Wie kann das Potenzial innovativer Dienste im Bildungssystem dennoch genutzt werden? Möglichkeiten dazu bieten flexiblere Gesetzgebungsprozesse, geschützte «Reallabore» für Tests und für das Sammeln von Erfahrungen sowie ein verstärkter Austausch zwischen dem Bildungssystem und den Dienstanbietern.
Pilotklauseln einführen
Damit neue Technologien beziehungsweise innovative Dienste in einem klar definierten rechtlichen Rahmen erprobt werden können, bieten sich Pilotklauseln in Datenschutz- oder Bildungsgesetzen an. Pilotklauseln sind gesetzliche Bestimmungen, die es ermöglichen, im Rahmen von Pilotversuchen für eine befristete Versuchsphase von gewissen gesetzlichen Vorgaben abzuweichen. Das Verfahren und die zu erfüllenden Voraussetzungen werden dabei in der Pilotklausel klar definiert.
Beispiele für Pilotklauseln finden sich bereits im Bundesgesetz über den Datenschutz und in kantonalen Datenschutzgesetzen (z.B. des Kantons Freiburg). Darüber hinaus bietet auch das Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben ein Beispiel für eine Pilotklausel, die explizit auf Digitalisierungsprojekte ausgerichtet ist. Im Bildungskontext kennt das Bildungsgesetz des Kantons Zürich bereits eine Pilotklausel.
Mit «Sandboxen» lernen
Innovative Dienste können zudem dadurch gefördert werden, dass sie in einer kontrollierten Umgebung – einer sogenannten «Sandbox» – ohne grosse Risiken für das reale Umfeld, auf ihre Praxistauglichkeit getestet und weiterentwickelt werden können. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse helfen auch, die regulatorischen Rahmenbedingungen – wo nötig – auf Basis empirischer Grundlagen weiterzuentwickeln. Dies wird erreicht, indem «Sandboxen»:
- eine enge Begleitung innovativer Dienste durch die zuständigen Bildungsverwaltungen vorsehen;
- Zugang zur notwendigen technischen, rechtlichen wie auch datenwissenschaftlichen Fachexpertise gewährleisten, unter anderem auch durch den Rückgriff auf bestehende Kompetenzzentren;
- Innovative Ansätze für die datenschutzkonforme Bereitstellung von Personendaten anbieten;
- den Wissenstransfer stärken, indem die Erkenntnisse dem Bildungsraum Schweiz systematisch zugänglich gemacht werden.
«Sandbox»-Projekte können sowohl von Dienstanbietern, der (Bildungs-)Forschung, einer Schule oder der Bildungsverwaltung eingegeben werden. Voraussetzung ist, dass sie helfen, den Umgang mit regulatorischen Rahmenbedingungen für den Einsatz innovativer Dienste zu klären.
Während eine solche bildungsspezifische «Sandbox» aktuell in der Schweiz erst geschaffen werden muss, bietet das Swiss National EdTech Testbed Programm den Schulen die Möglichkeit, digitale Dienste im Unterricht zu testen und im Anschluss zu evaluieren. So entsteht ebenfalls ein aktiver Austausch zwischen Schulen und Dienstanbietern. Es findet also wie bei einer «Sandbox» ein Lernprozess statt. Dabei stehen aber weniger die Rahmenbedingungen und das regulatorische Lernen, sondern eher die pädagogischen Ansprüche der Schulen im Vordergrund. Eine «Sandbox» würde das Testbed-Programm also um weitere Erkenntnisse ergänzen.
Austausch zwischen Akteuren stärken
Werden datengestützte digitale Dienste im Bildungssystem eingesetzt, sind in der Regel unterschiedliche private und staatliche Akteure involviert. Zwischen diesen Akteuren besteht oft eine Wissens- und Informationsasymmetrie betreffend der technologischen Möglichkeiten und der regulatorischen Anforderungen. Dadurch entstehen Hemmnisse bei der Entwicklung, der Beschaffung und dem Einsatz dieser innovativen Dienste. Damit der Austausch zwischen den einzelnen Akteuren gefördert und ein besseres gegenseitiges Verständnis geschaffen werden kann, bietet sich die Schaffung eines «Innnovation Hubs» an.
Als Austausch- und Wissensplattform erleichtert der «Innovation Hub» den Aufbau von Kontakten und den Informationsaustausch. Denkbar sind zum Beispiel unverbindliche, rechtliche Beratungsangebote der Bildungsverwaltung gegenüber Dienstanbietern, um das Bewusstsein der Dienstanbieter für den bestehenden Rechtsrahmen zu erweitern. Gleichzeitig kann der Austausch den Bildungsverwaltungen helfen, Innovationen besser zu verstehen und die damit verbundenen Risiken fundierter einzuschätzen. So kann der «Innovation Hub» dazu dienen, frühzeitig Regulierungsbedarf oder Unsicherheiten zu erkennen. Diese Erkenntnisse können dann wiederum Ausgangspunkt für mögliche «Sandbox»-Projekte oder Pilotversuche sein.
Um der Informationsasymmetrie zwischen dem Bildungssystem und innovativen Dienstanbietern entgegenzuwirken, bieten sich auch systematische Monitoringberichte an. So könnten in einem periodisch publizierten Monitoring die für die Bildung relevanten technologischen Entwicklungen und die daraus entstehenden Fragen zum Rechtsrahmen, zu Bildungsdaten, zur Datenkompetenz und zur Infrastruktur beleuchtet werden (vgl. zum Beispiel den Educause Horizon Report).
Innovationen interkantonal meistern
Das Bildungssystem ist kantonal organisiert. Die privaten Anbieter von digitalen Diensten orientieren sich in ihrer Organisation in der Regel eher an Landes- oder Sprachregionsgrenzen. Daher bietet es sich an, «Sandboxen» und «Innovation Hubs» mindestens auf interkantonaler Ebene zu etablieren. So kann erstens die Verständigung und die Zusammenarbeit zwischen Bildungsverwaltungen und Dienstanbietern verbessert werden, da beiden Akteuren auf ihren jeweiligen Handlungsebenen ein Zugangspunkt zu Unterstützungsmassnahmen geboten wird. Zweitens erleichtert eine interkantonale Organisation auch kleineren Kantonen den Zugang und die Durchführung von «Sandbox»-Projekten. Schliesslich fördert ein interkantonales «Sandbox»-Programm den schweizweit kohärenten Umgang mit bestehenden und zukünftigen Rahmenbedingungen für die Entwicklung und den Einsatz datenbasierter Applikationen und digitaler Dienstleistungen.
Weiterführende Links
- Thouvenin, F. und Volz, S. (2024). Rechtliche Auslegeordnung zur Entwicklung und Nutzung von KI im Bildungsraum Schweiz.
- Volz, S. und von Thiessen, R. (2023). Künstliche Intelligenz in der Bildung.
- Volz, S. (2022). KI Sandboxen für die Schweiz?
- Schneider, Y. et al. (2022). Prüfauftrag zu Regulatory Sandboxes.
- ESMA. (2021). Joint Report on Regulatory Sandboxes and Innovation Hubs.