Was können Educa und alle Akteure im Bildungssystem tun, um Personen zu befähigen, sich in der Flut von Meinungen, Behauptungen und Informationen zu KI überhaupt zurechtzufinden und dazu eine eigene Haltung zu entwickeln?

Es stimmt, dass es einen Haufen von Meinungen, Behauptungen und Informationen zu KI gibt. Man kann vielleicht manchmal das Gefühl haben, von diesen Dingen überwältigt zu werden und gar nicht nachzukommen. Die Annahme, dass jede Woche oder jeden Monat ein neues Instrument von gleicher Qualität entsteht, ist jedoch nicht korrekt. Es gibt manchmal diese Schlüsselmomente, in denen tatsächlich etwas Grosses passiert, das dann etwas Nachhaltiges auslöst.

Ein Beispiel hierfür war die plötzliche Verfügbarkeit von ChatGPT vor fast drei Jahren. Schwierig ist jedoch, dass es nur wenige gesicherte Erkenntnisse darüber gibt, was KI überhaupt leisten kann. Es gibt sicher schon einige Erfahrungswerte, beispielsweise beim Verbessern eines Textes oder Erstellen einer Zusammenfassung. Wenn man sich jedoch die Frage stellt, wie KI das Bildungssystem in Zukunft verändern wird, gibt es tatsächlich noch sehr wenige gesicherte Erkenntnisse.

Was die Auseinandersetzung mit dem Thema zusätzlich kompliziert macht, ist die Tatsache, dass viele über KI diskutieren und publizieren, aber oft ein gemeinsames Verständnis darüber, was KI genau ist, fehlt. Das erste Panel der dritten Europarats-Konferenz zu KI und Bildung ist genauso gestartet wie meine Antwort: Die Diskussion ist sofort in medias res gegangen, in der zweiten Hälfte mussten wir jedoch zurückkommen und den Begriff «KI» thematisieren. Oft bleibt man in diesen Diskussionen ziemlich vage, über welche Art ovn KI-Anwendung im Bildungskontext man eigentlich diskutiert.

Wie kann KI-Kompetenz sinnvoll in unser Bildungssystem integriert werden – nicht nur als technische Fähigkeit, sondern als staatsbürgerliche und ethische Kompetenz für Lernende und Lehrende?

In dieser Frage wird eines der Hauptprobleme bereits deutlich: In den meisten Fällen wird zu schnell eine technische Diskussion geführt. Eigentlich sollte man sich zunächst auch mit der ethischen Thematik auseinandersetzen und genau diese Fragen stellen: Was bedeutet das für unsere Gesellschaft? Was bedeutet das für unsere Rechte als Bürgerin und Bürger? Solche Fragen werden jedoch meist zu schnell ausgeblendet.

Es ist zweifellos wesentlich, zu verstehen, wie diese Tools funktionieren und wie man sie nutzen kann. Ebenso wichtig ist es jedoch, sich zu überlegen, auf welcher Basis diese Systeme eigentlich aufgebaut sind. Die Grundlage dieser Systeme sind Daten, die nicht unbedingt neutral sind. Wie Daten gesammelt und interpretiert werden, kann leider auch negative Folgen haben. Dabei besteht die Gefahr, die Vielfalt von Perspektiven einzuschränken und bestehende Ungleichheiten zu verstärken. Die unreflektierte Nutzung dieser Systeme kann auch das Risiko bergen, Fähigkeiten zu verlieren, wenn man sich zu sehr auf Automatismen und KI-Systeme verlässt.

Eine ganzheitliche, nicht nur technische Betrachtung ist daher von grundlegender Bedeutung, um die KI-Kompetenz erfolgreich zu fördern. Und genau hier sollte auch der Schwerpunkt der KI-Aktivitäten des Europarats liegen: Welchen Einfluss hat KI auf die Menschenrechte, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit.

Edouard Lamboray
«  Um diese vom Europarat anerkannten ethischen Grundwerte wie Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu fördern, ist auch ein breit abgestützter gemeinsamer Rahmen notwendig  »

Warum ist ein gemeinsamer Rahmen für KI im Bildungswesen so wichtig?

Ein Argument dafür ist, dass KI-Tools tendenziell von grossen Tech-Unternehmen angeboten werden. Diese Unternehmen agieren international, weshalb es natürlich schwierig ist, diese Instrumente rein lokal oder regional zu beeinflussen. Zudem ist das Thema komplex genug, sodass es extrem hilfreich ist, wenn ich im Dialog mit meinen Nachbarn einen gemeinsamen Rahmen abstecken kann und nicht immer das Rad neu erfinden muss. Auch wenn wir die KI nicht nur rein technisch verstehen wollen, sondern die Diskussion auf eine ethische Ebene bringen, müssen wir unbedingt ein gemeinsames Verständnis finden. Um diese vom Europarat anerkannten ethischen Grundwerte wie Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu fördern, ist auch ein breit abgestützter gemeinsamer Rahmen notwendig.

In der Schweiz prägen viele Akteure – von Lehrpersonen und Lernenden über Eltern bis hin zu EdTech-Unternehmen und politischen Entscheidungsträgern – die digitale Bildungslandschaft. Wie können wir all diese Interessengruppen sinnvoll in die Gestaltung und Steuerung der Integration von KI in die Bildung einbeziehen?

Viele Akteure im Bildungssystem gehen davon aus, dass sich die Bildung mit der Vermittlung von Wissen zu KI und dem Einsatz von entsprechenden Instrumenten im schulischen Alltag auseinandersetzen muss. Gleichzeitig gibt es noch kein definiertes Patentrezept. Und das wird es vielleicht auch nie geben.

Die Entwicklung eines gemeinsamen Rahmens kann die notwendige Orientierung bieten, abgestimmte Konzepte definieren, Ressourcen zu teilen und gemeinsam bessere Lösungen zu finden. In diesem Sinne ist die Kooperation im Kontext des Europarats von grosser Bedeutung. Ob als Individuum – Lernende, Lehrperson oder Eltern – oder als Organisation – Staat oder Bildungsinstitution – kann man sich in diesem geteilten Rahmen zurechtfinden: Ein gemeinsamer Rahmen kann fixe Bezugspunkte zur Verfügung stellen. Er muss jedoch auch die notwendige Flexibilität bieten, um sich an die jeweiligen spezifischen Kontexte anzupassen.

Ein Patentrezept gibt es nicht, aber Zusammenarbeit ist eine Möglichkeit, durch gegenseitigen Austausch kontinuierlich zu lernen und sich als Individuum, Organisation oder Staat weiterzuentwickeln.

 

«Compass for AI and Education»

Die dritte Arbeitskonferenz des Europarates, die vom 8. bis 9. Oktober 2025 stattfand, markiert den offiziellen Startschuss für den «Compass for AI and Education». Kern des Kompass sollen vier Instrumente sein, die heute jedoch erst in Entwürfen mit sehr unterschiedlichen Reifegraden vorliegen:

  • Empfehlung zu AI Literacy
  • Legal Instrument zur Regulierung von KI in der Bildung
  • Policy Toolbox für KI und Bildung
  • Reference Framework für die Bewertung von Bildungstechnologien.

Die Konferenz bot Raum für politischen Dialog, gemeinsamen Wissensaustausch und vorausschauende Planung sowie für die Entwicklung praktischer Wege zur Umsetzung des Kompasses im nationalen Kontext. Der Europarat bekräftigte damit sein Engagement für eine Zukunft, in der KI zu einer hochwertigen Bildung für alle beiträgt, ohne die Grundwerte zu beeinträchtigen, die die demokratische Identität Europas ausmachen.