• Damian Gsponer, Schulleiter der gd-Schule in Bratsch
  • Urs Zuberbühler, Lehrer und ICT-Verantwortlicher der Primarschule Guttannen
  • Marco Costi, Schulleiter der Mittelschule Ambrì und Präsident der kantonalen Konferenz der Mittelschulleiter
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Wie nutzt eine «periphere» Schule die Technologie während der Pandemie?

Damian Gsponer, Bratsch: Durch die Gegebenheit, dass unsere Schülerinnen und Schüler ab dem zweiten Zyklus täglich mit der Plattform Hazu auf ihrem eigenen Gerät arbeiten, nutzten wir bisherigen Möglichkeiten einfach weiter. Wir konnten uns auf eine hohe Medienkompetenz der Kinder verlassen, die auch vor der Pandemie bei ihrer Präsenz in Bratsch täglich trainiert wurde. Da auch die Eltern unserer Kinder ihre Informationen und mögliche Mitwirkungen (z.B. Kochplan etc.) über Hazu abwickeln, konnten wir auch sie während der Pandemie bestens erreichen. Dabei lag ein besonderes Augenmerk auf der Betreuung der Eltern des ersten Zyklus, da die Kinder hier nur punktuell in der digitalen Welt arbeiten. Kurz: Es waren keine Beschaffungen und keine neue Infrastruktur notwendig.

Urs Zuberbühler, Guttannen: Da der «unaufgeregte» Umgang mit digitalen Geräten bereits vor der Pandemie zum Unterrichtsalltag gehörte, brachte die Corona-Zeit diesbezüglich keine besonderen Herausforderungen und Neuerungen mit sich. Die bestehende Infrastruktur musste nicht weiter ausgebaut, sondern neu einfach zu Hause genutzt werden.

Marco Costi, Ambrì: Als die Schulen schlossen, war es unser erstes Anliegen, über die Klassenlehrpersonen die E-Mail-Adressen unserer Lernenden oder ihrer Familien zu erfahren. Dies ist wesentlich für die Aktivierung der Moodle-Plattform und MS-Teams über die NetworkID. Diese beiden Instrumente wurden vom DECS (Dipartimento Educazione, Cultura e Sport) ausgewählt und vom CERDD (Centro di Risorse Didattiche e Digitali) für den Fernunterricht zur Verfügung gestellt. Die wenigen Schülerinnen und Schüler, die keine Computer zur Verfügung hatten, wurden von der Schule mit einem Computer ausgestattet. Diese technologischen Entscheidungen haben es uns ermöglicht, nicht-institutionelle Kanäle wie WhatsApp, Dropbox oder andere zu vermeiden. Alles in allem ist es uns gelungen, den ständigen Kontakt mit unseren Lernenden aufrechtzuerhalten und einen guten Fernunterricht zu gewährleisten.

Wie haben sich in Ihrer Schule während der Pandemie digitale Werkzeuge entwickelt?

Damian Gsponer, Bratsch: Bereits vor Eröffnung der Schule haben wir mit Hazu gearbeitet und diese Plattform aus pädagogischer Sicht in engem Austausch mit Hazu getestet und damit ein wenig mitgeprägt. In diesem Sinne haben wir uns bereits vor der Pandemie auf den Weg gemacht, digitale Werkzeuge zu entwickeln.

Urs Zuberbühler, Guttannen: Die digitalen Geräte, obwohl flächendeckend und jederzeit verfügbar, kamen während der Pandemie eher weniger zum Einsatz als im bisherigen Präsenzunterricht. Analoge Aufträge im Bereich des kreativen Gestaltens und auch der Bewegung sollten im Gegenteil dafür sorgen, die Bildschirmzeit der Lernenden eher tief zu halten. Einmal pro Tag fand für jede Klassenstufe eine Online-Lektion statt, welche den Austausch sowie das gemeinsame Lernen und Erleben ermöglichte. Auf einer Webseite wurden gestalterische Produkte dokumentiert und seitens der Lehrpersonen Lerninhalte (Audio, Video etc.) bereitgestellt. Die Kommunikation zwischen Lehrpersonen und Eltern für organisatorische Belange und auch zur Einreichung von Ergebnissen fotografisch festgehaltener Aufgaben (Arbeitsblätter aber auch Zeichnungen etc.) erfolgte vorwiegend über WhatsApp.

Marco Costi, Ambrì: Eine Gruppe von Lehrpersonen nutzte die Moodle-Plattform bereits seit Herbst 2019 und hatte damit bereits eine beachtliche Expertise entwickelt, die sich während der Pandemieperiode deutlich vergrössert hat. Diese Gruppe fungierte dann zusammen mit dem IT-Verantwortlichen der Schule (RIS) als Zugpfred für ihre Kollegen und Kolleginnen, die es schnell schafften, die Plattform als Lehrmittel für ihren Unterricht zu nutzen. MS Teams hingegen, das für die Mehrheit von uns neu war, wurde dank der ausgezeichneten Zusammenarbeit zwischen den Lehrpersonen entdeckt, die ihre Erfahrungen mit ihren Kollegen und Kolleginnen in einem speziellen Forum weiter gaben. Im Zuge der Entdeckung digitaler Werkzeuge haben wir uns auch an die Verwendung von ScreenCast-o-Matic oder die gemeinsame Nutzung interaktiver Whiteboards oder des iPad mit iPencil für den Fernunterricht in MS-Teams gewagt.

Wie haben sich die Kompetenzenprofile der Lernenden in der Zeit des Lockdowns entwickelt?

Damian Gsponer, Bratsch: Unsere Kinder konnten – dank Hazu – nahtlos an ihren Zielen weiterarbeiten. Durch ihre hohe Medienkompetenz und den täglichen Gebrauch davon war dies gut möglich. Bei ganz jungen Kindern, die Hazu nur punktuell im Einsatz haben oder Kinder mit «profilbedingt» erschwertem Zugang zur digitalen Welt haben wir festgestellt, dass diese vermehrt den Zugang dazu gefunden haben. Was wir weiter feststellen konnten ist, dass die eingeübten Kompetenzen in Selbstorganisation, Zeitmanagement etc. auch im heimischen Kontext umgesetzt werden konnten. Ein Investment in die überfachlichen Kompetenzen macht also ganz viel Sinn, da es geografisch und kontextuell unabhängig einen hohen Nutzen hat und auch ein Zurechtfinden in der digitalen Welt optimiert. Einen Effort haben wir bei der Hazu-Nutzung der Eltern (und teils Grosseltern) festgestellt. Wer bislang zögerlich eher Informationen über die Plattform einholte, hat Hazu teils neu als Arbeitsinstrument für sich entdeckt. Gespannt bin ich auf den Weg unserer jungen «Hazu-Mitentwickler», die sich schon etwas länger mit Programmieren beschäftigen und in dieser Zeit auch das Handbuch von Hazu am erproben sind. Sie werden mit den Produktmanagern von Hazu verknüpft und können ihre Ideen einfliessen lassen.

Urs Zuberbühler, Guttannen: Im Bereich der digitalen Kompetenzen brachte der Lockdown aufgrund des bereits zuvor im Unterricht etablierten Einsatzes digitaler Technologien keine nennenswerte Kompetenzerweiterung. Einzig der Einsatz von Videokonferenz-Tools kann als neuer Erfahrung bezeichnet werden. Die Schule Guttannen nutzte allerdings bereits früher an Wintertagen mit grosser Lawinengefahr und dadurch bedingter Schliessung der Zufahrtsstrassen solche Werkzeuge. Damit war es möglich Lernende von zuhause aus in den Unterrichtsalltag mit einzubinden, auch wenn sie den Unterricht nicht besuchen konnten. Der tägliche Online-Austausch verbunden mit der Bereitstellung anregender Materialen im gestalterischen Bereich sowie der analogen Lehrmittel und Unterrichtsmaterialien ermöglichte, dass die Lernenden in vielen schulischen Bereichen gefördert werden konnten.

Marco Costi, Ambrì: Es ist unserer Meinung nach unmöglich zu überprüfen, ob der Fernunterricht es Schülern und Schülerinnen ermöglicht hat, ihre fachlichen Kompetenzen zu verbessern. Es ist sicher, dass durch die eingesetzten technologischen Mittel ein längerer Stillstand im Lehr-/Lernprozess vermieden werden konnte und dass durch die partielle Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts das Gelernte aus dem Ferunterricht gefestigt werden konnte. Dabei haben sich während des Fernunterrichts aufgrund der Verfügbarkeit von Computern, dem unterschiedlichen Wissensstand der Familien oder pädagogischen Problemen einiger Lernenden die Ungleichheiten und folglich die Wirksamkeit des damit verbundenen Lehr-/Lernprozesses zum Teil noch verstärkt. Wir beobachteten jedoch auch, dass einige Schülerinnen und Schüler, die den Druck ihrer Klassenkameraden im Klassenzimmer nicht spürten, vermehrt aktiver am Videounterricht teilnahmen. Aufgrund den Rückmeldungen sowohl von den Lehrpersonen als auch von den Schülerinnen und Schülern gehen wir davon aus, dass es den meisten nach einer anfänglichen Phase der Unsicherheit und der Versuche gelungen ist, sich mit diesen neuen Lehrmethoden immer besser zurechtzufinden.

Welche Lehren ziehen Sie aus dem Fernunterricht? Was werden Sie behalten?

Damian Gsponer, Bratsch: Wir haben uns während der Pandemie primär in unserer digitalen Arbeitsweise bestätigt gefühlt. Es gibt nichts, was eine physische Begegnung und herzliche Begleitung von Kindern ersetzen kann. Die Arbeit mit Hazu hat es uns ermöglicht, Arbeitsschritte, Planung und vieles mehr so effizient zu gestalten, damit genügend Raum für den persönlichen Austausch blieb. Dies ist auch nach der Pandemie für uns entscheidend. Ein digitales Werkzeug muss stets zum Ziel haben, die Abläufe und Arbeiten so zu gestalten, damit mehr Zeit für Beziehung bleibt. Kurz: Wir werden konsequent mit Hazu weiterarbeiten und freuen uns auf eine stete Weiterentwicklung der Plattform.

Urs Zuberbühler, Guttannen: Bezüglich des Fernunterrichtes machte man an der Schule Guttannen die Erfahrung, dass ein solcher grundsätzlich durchaus umsetzbar ist und digitale Medien dabei wertvolle Dienste leisten können. Aufgrund der fehlenden sozialen Kontakte und Interaktion auf dieser Altersstufe ist es jedoch kein zukunftsweisendes Konzept. Auf den bisherigen Einsatz digitaler Medien im Unterricht in Situationen, in denen ihre Verwendung ein Mehrwert generiert, hat der Fernunterricht keinen Einfluss. Die Lehrpersonen wurden darin bestärkt, den bereits früher zum Einsatz kommenden Fernunterricht pragmatisch dann einzusetzen, wenn es Naturgefahren oder andere äusseren Umstände erfordern.

Marco Costi, Ambrì: Der Fernunterricht erfordert Grundkenntnisse in zwei spezifischen Bereichen: technologische Kompetenzen sowie die Fähigkeit, digitale Lehrmittel zu nutzen und sich darin zurechtzufinden, wobei eine entsprechende Infrastruktur (PC, Drucker, Internetanschluss) zu Hause zur Verfügung stehen muss. Neben diesem technologiebezogenen Bereich sind die Lernenden aufgefordert, transversale Kompetenzen zu nutzen, insbesondere die persönliche Entwicklung, Kooperations- und Lernstrategien und persönliche Ausbildungskontexte im Hinblick auf Technologie und Medien. Die Erfahrungen, die während der Zeit der Schulschliessung aufgrund der Coronoapandemie gesammelt wurden, beschleunigten die Einführung von digitalen Werkzeugen im Präsenzunterricht. Dies wird eine Änderung der didaktischen Materialien und des Lehr-/Lernprozesses erfordern. Die in diesen Wochen erworbenen Kompetenzen sollten nicht vergessen werden, sondern im Gegenteil als Ausgangspunkt dienen, um die Schule der Zukunft, die die Möglichkeiten des Fernunterrichts nicht mehr ignorieren kann, in Angriff zu nehmen und gemeinsam weiterzuentwickeln.

gd-Schule in Bratsch: Die Schule liegt im 123-Seelen Dorf Bratsch in den Oberwalliser Bergen. Begonnen im Jahre 2016 mit 17 Schulkindern, wird sie im nächsten Schuljahr 80 Kinder haben. Mit diesen und ausgebildeten Pädagoginnen und Pädagogen baut sie gemeinsam das Bergdorf wieder auf und beleben es mit verschiedenen Projekten, die der Dorfentwicklung dienen (Neubau Spielplatz, Gartenanlagen, Informatikkurse für ältere Menschen etc.). Organisiert ist die Schule als Verein «gd-Schule Bratsch», welcher von der Stiftung «Innovative BergBildung» getragen wird. Die Kinder verfügen ab dem zweiten Zyklus über einen persönlichen Laptop bzw. ein eigenes Tablet. Die Schule benutzt die Plattform Hazu um Projekte, Tagespläne, Zielsetzungen, Elternkommunikation usw. abzuwickeln.

Primarschule Guttannen: Die Primarschule besteht aus einer Mehrjahrgangsklasse (1.–6. Klasse), welche aktuell von zehn Lernenden besucht wird. Guttannen ist mit aktuell rund 250 Einwohner seit Jahren stark mit Abwanderungstendenzen konfrontiert. Es wurde nach einer Lösung gesucht, als absehbar wurde, dass der Kanton Bern die Schule im Sommer 2019 schliessen müsse. Die Kooperation mit der traditionsreichen Berner Schule NMS ermöglichte eine Weiterführung der Schule als «Filiale» einer Privatschule. Seit 2010 wurde an der Primarschule Guttannen in Zusammenarbeit mit der PHBern ein 1:1-Computing-Pilotprojekt durchgeführt. Während allen Lernenden vorerst ein Netbook zur Verfügung gestellt wurde, arbeiten sie seit einigen Jahren mit iPads, die auch zur Bearbeitung von Hausaufgaben oder anderen Aufträgen nach Hause mitgenommen werden können. Ein WLAN sowie ein Beamer sind Teil der Infrastruktur der Schule.

Mittelschule Ambrì: Die Mittelschule befindet sich in der oberen Leventina und bedient ein Gebiet, das von den Gemeinden Dalpe, Prato Leventina, Quinto, Airolo und Bedretto gebildet wird. Die Wohnbevölkerung hat von 4'092 Einwohnern im Jahr 1980 auf 3'225 im Jahr 2019 abgenommen. im laufenden Schuljahr sind 121 Schülerinnen und Schüler eingeschrieben. Die Schule ist aufgrund ihrer Infrastruktur (z. B. Bibliothek) und der Kurse (z. B. Informatik), die sie der Bevölkerung zur Verfügung stellt, von grosser kultureller und sozialer Bedeutung. Sie verfügt über zwei voll ausgestattete Computerräume, die an das kantonale Netzwerk angeschlossen sind. Alle Klassenzimmer sind ausserdem verkabelt und mit einem PC, einer Tafel oder einem interaktiven Beamer ausgestattet. Die meisten Lehrerinnen und Lehrer haben einen Certificate of Advanced Studies in Informatik.

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