Letzten Mai schrieben Sie auf Eduport: «Es gibt kein Zurück, nutzen wir die Erfahrungen der Corona-Pandemie für eine nachhaltige und verantwortungsvolle Bildungsarbeit aller Akteure im Bildungswesen.» Wie können diese Erfahrungen die Bildungsarbeit wirksam verändern?

Die Erfahrungen während der Corona-Krise haben sicher im Nachhinein sichtbar gemacht, wie komplex die digitalen Herausforderungen auf allen Ebenen der Bildung wirken: auf der Ebene Unterricht, (Pädagogik und Soziales), Organisation (etwa für Schulleitung) und auf der Ebene der Behörden (rechtliche und ethische Fragen). Eine wichtige Erkenntnis ist, dass die COVID-19-Pandemie nicht eine kurze Störung ist, sondern uns noch lange beschäftigen wird. Vor diesem Hintergrund sind Massnahmen nicht kurzfristig, sondern mittel- und langfristig anzulegen, um sie so auch nachhaltig zu gestalten. Es sollten daher nicht kurzfristige Problemlösungen (weil z.B. morgen niemand im Unterricht ist) implementiert werden, sondern mittel- und langfristige Lösungsansätze mit einem Schul- und Unterrichtsverständnis, welches Personalisierung und Flexibilität ermöglicht. Der Technologieeinsatz für die Sicherstellung des gesamten Schulbetriebs während des Lockdowns war in der Anfangsphase wichtig und ist grundsätzlich auch gut umgesetzt worden. Es kam oft die Rückmeldung «Ja, das ist machbar».

Jetzt sind aber Überlegungen in Richtung Flexibilisierung und Modularisierung der Schulorganisation und des Unterrichts zentral, damit Effizienz, Effektivität und Bildungsgerechtigkeit bestmöglich gewährleistet werden können. Wie geht beispielsweise eine Schule mit der Situation um, wenn eine Lehrperson, eine Schülerin oder eine ganze Klasse in Quarantäne muss? Solche Herausforderungen verlangen flexible und hybride Anwendungskontexte sowie ein erweitertes Unterrichtsverständnis. Die Massnahmen, die jetzt oft zu Schulbeginn eingesetzt werden – Normalbetrieb mit Schutzmaske – lösen diese Herausforderung im Umgang mit den Betroffenen in Quarantäne nur ungenügend. Ich beobachte, dass die Kantone und Schulen den Schulbeginn möglichst im Normalbetrieb gestaltet haben. Ich bin jedoch sicher – auch mit Blick auf die steigenden Infektionszahlen – dass die Schulen schon bald gefordert werden, weil ein Teil der Klasse im Schulhaus und der andere von zuhause unterrichtet werden müssen. Dafür braucht es erweiterte Lösungsansätze.

Es gab während des Fernunterrichts viele Inputs von Lehrpersonen und weiteren Akteuren, die sagen, dass sich die Schule jetzt ändern und entwickeln muss. Wie können diese Erfahrungen an die politischen Entscheidungsträger übermittelt werden?

Die Krise hat vieles beschleunigt, was die Behörden – insbesondere die Kantone – schon vor der Corona-Pandemie unternommen hatten. Viele Digitalisierungskritiker haben erkannt, dass der digitale Wandel jetzt anzugehen ist.

Eine zentrale Erkenntnis ist, dass wir gefordert sind, uns schweizweit zu vernetzen. Wichtig ist, dass wir uns nicht nur gegenseitig austauschen, sondern voneinander lernen. Gerade in einem föderalen System mit dem Reichtum an Vielfalt ist das zentral. Und das Zweite: Das Bildungssystem muss jetzt die richtigen Fragen angehen. So sind etwa pädagogisch-didaktische Herausforderungen mit den Einzelschulen und der Expertise der Pädagogischen Hochschulen bottom-up anzugehen. Fragen zur Informations- und Rechtssicherheit sind jedoch Aufgabe der Behörden. Weil immer mehr Schulen mit digitalen Plattformen arbeiten, braucht es dort genügend Sicherheit, dass die Lehrpersonen wissen, was sie dürfen und wie sie auf solchen Plattformen arbeiten können.

Sind sich die Akteure im Bildungsbereich, von Lehrpersonen bis hin zu politischen Entscheidungsträgern, über die Herausforderungen der Digitalisierung bewusst?

Die Pandemie lehrt uns einmal mehr, dass wir nicht eine abschliessende Meinung haben können. Wir alle müssen täglich wieder neu lernen, täglich wieder die Situation neu annehmen. Da mache ich keinen Unterschied zwischen uns hier in der Fachagentur, unseren Gesprächspartnern auf allen Ebenen des Bildungssystems und den Lehrpersonen in der täglichen Praxis. Wie ich beobachte, haben sich die Kantone und die Schulen in einer ersten Phase gut organisiert, um mit dieser neuen Situation umgehen zu können. Es braucht aber jetzt neue Ansätze, damit die täglich neuen Herausforderungen situativ gemeistert werden können. Flexibilisierung und Modularisierung erhalten eine ganz neue Bedeutung. Wir denken in der Schule immer im Jahresrhythmus, in Fächern, im Kanon und in Stundendotationen. Diese Denkstrukturen werden durch die Pandemie zunehmend erodiert. Die Kantone sind gefordert, diese Flexibilisierung geschickt anzugehen. Die Lösungen müssen vor Ort entstehen und nicht schweizweit heruntergebrochen werden.

Educa ist die Fachstelle des Bundes und der Kantone für die Digitalisierung im Bildungsraum Schweiz. Ist die Rolle der Agentur heute aufgrund der Pandemie noch wichtiger geworden? Wie wird sich die Fachagentur im Licht der Corona-Erfahrung positionieren?

Die Fachagentur Educa befindet sich seit vier Jahren in einem intensiven Change-Prozess: Vom ursprünglichen Betreiber des Schweizer Bildungsservers (als Anbieterin von Bildungsservices) entwickeln wir uns zunehmend zu einem Ort der Expertise zwischen der Schnittstelle von Technologie und Bildung. Dieser Prozess ist durch die Corona-Pandemie noch beschleunigt worden, indem wir die Rechtssicherheit von noch mehr Onlinediensten klärten und so den Behörden und Schulen Orientierungswissen in der Nutzung solcher Dienste boten (siehe Navigator). Wir beschäftigen uns also weniger mit pädagogisch-didaktischen Fragen, sondern vermehrt mit rechtlichen Fragen im Bereich der Informations- und Rechtssicherheit. Mit der erhöhten Nutzung von Onlinediensten im Bildungskontext steigt auch die Datengenerierung. So haben die Bedeutung der digitalen Identität mit der Föderation der digitalen Identitätsdienste (Edulog) und die Fragen zur Datennutzung zugenommen. Eine Herausforderung bleibt die Fokussierung, was in den nächsten vier Jahren wichtig ist, um die begrenzten Mittel optimal einzusetzen. Dazu sind wir gegenwärtig mit der EDK und dem SBFI im Austausch, um die neue Leistungsvereinbarung sowie die neuen Grossvorhaben für den digitalen Bildungsraum Schweiz vorzubereiten.

ähnliche Beiträge

Im englischsprachigen Podcast «Education Technology Society» spricht Michael Geiss (PH Zürich) über seine neue Publikation, die den Einzug des Computers in die europäischen Schulen von den 1960er bis 1990er Jahren untersucht. Dabei wirft er auch einen Blick auf die Entwicklungen in der Schweiz.

Mit einem einzigen Login auf die Online-Dienste verschiedener Bildungsanbieter zugreifen: Mit Edulog ist das in den Schulen des Kantons Appenzell Ausserrhoden möglich. Lehrpersonen und Lernende gelangen so direkt auf meinklett.ch, die Lernplattform von Klett und Balmer.

Daten über Bildung und Lernen entstehen auf vielfältige Art und Weise. Warum die Sichtbarmachung dieser digitalen Datenflüsse hilft, Entwicklungspotenziale zu identifizieren, beantwortet uns David. H. Schiller, Professor an der Fachhochschule Graubünden und Leiter des Forschungsprojekts «Digitale Bildungsdatenwege».

Klapp vereinfacht die Kommunikation zwischen Lehrpersonen, Eltern und Lernenden und ermöglicht die Verwaltung wichtiger Informationen wie Nachrichten, Kalendern und Abwesenheiten an einem zentralen Ort. Der Online-Dienst ist nun über Edulog zugänglich. Karin Burkhalter, Mitglied der Geschäftsleitung von Klapp, zu diesem Beitritt.